Lee Friedlander

Bildmodul

New York City, 1966
Silbergelatine
18,8 x 28,2 cm
Sammlung Niedersächsische Sparkassenstiftung im Sprengel Museum Hannover

Zur Arbeit

Das Thema des Selbstporträts ist ein kontinuierliches im langen Schaffen von Lee Friedlander. Bereits 1970 publizierte er unter dem Titel „Self portraits“ eine Auswahl zu diesem Thema und setzte dies in Buchform in den Jahren 1998, 2005 und 2011 fort, zuletzt mit insgesamt 373 Bildern. Doch obwohl das 1966 entstandene „New York City“ als ein frühes Beispiel zu dieser Reihe zählt, darf man aus kunsthistorischer Sicht kritisch fragen, ob es überhaupt angemessen in diese Kategorie eingeordnet werden sollte.

Zu sehen ist eine Straßenfotografie, bei der im Vordergrund ein Schatten auf die Rückenansicht einer blonden Frau mit Pelz fällt. Anscheinend rührt der Schatten von der Figur des Fotografen her, dessen ausfransende Haar-Kontur dem Pelz sowie der Frisur der Frau korrespondiert. Es handelt sich um einen Schnappschuss bei dem der Hintergrund unscharf bleibt, was – ebenso wie das Motiv des gerade abbiegenden Fahrzeugs auf der rechten Seite – die Momentaneität des Gezeigten noch unterstreicht. Bei alledem bleibt freilich die Kamera des Fotografen unsichtbar, was die bislang in der Literatur nie gestellte Frage aufwerfen mag, ob der Schatten tatsächlich das Abbild des Fotografen markiert. In diesem Fall könnte er bei der Aufnahme zumindest nicht durch den Sucher seiner Mittelformat-Kamera geschaut haben – eine entsprechende Armstellung, die zum Kopf führt ist nicht zu sehen. Dürfen wir der Kategorisierung des Fotografen vorbehaltlos glauben oder rührt der Schatten vielleicht nicht doch von einer anderen Person, die sich zwischen Friedlander und die Frau gedrängt hat? Wie auch immer: im Mittelpunkt des Bildes steht viel eher das Spiel von Licht und Schatten als eine Selbstthematisierung der Fotografie. Es geht also um den Prozess des Fotografierens im Zuge einer buchstäblichen Aneignung eines Motivs, in diesem Fall: einer Frau, die nichts davon merkt, dass sie fotografiert wird. Der Fotograf zeigt sich hier in der Position eines Stalkers.

CV

Der 1934 in Aberdeen, Washington geborene, heute in New York lebende Lee Friedlander wurde nach seinem Studium in Los Angeles als sozialkritischer Chronist des amerikanischen Alltags bekannt. In seinen teilweise extrem komponierten Schwarzweiß-Fotografien widmete er sich Straßenszenen, Akten, Landschaften, Architektur, Personen und auch dem Thema des Selbstporträts.

Spätestens seit der Teilnahme an der Ausstellung „New Documents“ (Museum of Modern Art, New York, 1967) ist Friedlander bekannt für seine stets in Serien angelegten, dokumentarisch, gleichfalls aber auch mit einem betont subjektiven Blick versehenen Aufnahmen, die oft in Foto-Büchern zusammengefasst werden. Die jeweils spezielle Form des Ausschnitts führt dabei zu komplexen Bildern, die sich Kontraste und Schattenstrukturen zunutze machen und deren anschauliche Spannung sich nicht erschöpft.

Das Werk von Lee Friedlander ist in zahlreichen internationalen Sammlungen vertreten und wurde auf Einzelausstellungen des Künstlers u. a. im Museum of Modern Art, New York, dem Museum of Fine Arts, Houston, Texas, im Jeu de Paume, Paris, dem Haus der Kunst, München, dem Hasselblad Center, Göteborg und im San Francisco Museum of Modern Art gezeigt.

Literatur

  • Lee Friedlander, Chain link, Göttingen 2017
  • Saul Anton, Lee Friedlander: The little screens, London 2015
  • Peter Galassi (Hrsg.), Lee Friedlander, (Ausst.-Kat.) The Museum of Modern Art, New York 2005