André Gelpke

Bildmodul

Christine mit Spiegel
Silbergelatine
38,2 x 29,2 cm
Sammlung Niedersächsische Sparkassenstiftung im Sprengel Museum Hannover

Zur Arbeit

Das Thema des Spiegels in der Fotografie hat sowohl auf der metaphorischen wie auch auf der motivischen Ebene eine lange Tradition. Das 1977 entstandene Bild „Christine im Spiegel“, das im Rahmen von André Gelpkes Werkreihe „Fluchtgedanken“ (1972-79) entstanden ist, bereichert diese Historie um eine ungewöhnliche Pointe. Denn hier ist es nicht so, dass der Spiegel nicht – wie gewöhnlich – etwas enthüllt bzw. den Bildraum des Sichtbaren vergrößert. In Gelpkes Bild verdeckt er etwas, das Gesicht von Christine, und bietet stattdessen einen blinden Fleck, eine weiße Leerstelle an. Szenisch lässt sich diese Verweigerung des Porträts leicht nachvollziehen, denn offensichtlich schminkt sich die Dargestellte, worauf die Haltung ihres rechten Armes und der Pinsel in ihrer Hand hindeutet. Während die obere Bildhälfte verschattet ist und somit die Anonymisierung auf der Ebene der Beleuchtung unterstreicht, ist die untere Partie des Bildes beleuchtet – nicht zufällig wiederholen sich im Muster des Kleides hunderte kleine weiße Punkte, deren formale Nähe zum Spiegel-Motiv wohl unübersehbar ist.

Wenn man den Äußerungen, die Gelpke einige Jahre nach Fertigstellung der Werkreihe gemacht hat, Glauben schenken darf, dann handelt es sich dabei tatsächlich nicht um eine inszenierte Szene, sondern um einen Schnappschuss: „Jedes dieser Bilder ist ein in der Realität gefundenes inneres Bild, das in meiner Vorstellung schon undeutlich existierte. Es sind Bilder einer Suche, des unerwarteten Sehens und plötzlichen Erkennens, des Festhaltens, aber auch des Nichtbegreifens.“ (vgl. andregelpke.com/arbeiten/fluchtgedanken/#1) Ein produktiver Zufall, der weitere Fragen aufwirft!

CV

Der 1947 in Beienrode/Gifhorn geborene André Gelpke gehört zu den fast vergessenen Pionieren der künstlerischen Fotografie. Nach dem Studium in Essen bei Otto Steinert wurde er in diesem Kontext auch schon früh ausgestellt, wovon die erste Einzelausstellung 1974 in der Aachener Galerie Lichttropfen zeugt.

Sein motivischer Ansatz ist dabei durchaus vielgestaltig. Im dokumentarischen Stil hat sich Gelpke vielfach in sozialkritischer Manier mit Phänomenen und Situationen des Alltags, Personen, aber auch Landschaften und Stillleben auseinandergesetzt. Dabei wäre es zu kurz gegriffen ihn lediglich als einen Chronisten der Zeit zu sehen; vielmehr thematisieren seine mitunter intimen Blicke auch grundsätzliche menschliche Verhaltensweisen. Die subjektive Optik ist in diesen entweder schwarzweißen oder auch farbigen Fotos immer gegenwärtig.

Gelpke agierte als ein wichtiger Lehrer an der Züricher Hochschule der Künste von 1990 bis 2012, wo er auch heute noch lebt. Im Hinblick auf seine überschaubare Anzahl an institutionellen Einzelausstellungen sind diejenigen des Sprengel Museum Hannover, des Museum Folkwang, Essen, des Museums für Photographie, Braunschweig und des Centre George Pompidou, Paris hervorzuheben. Er ist in diversen musealen Sammlungen in Europa präsent.

andregelpke.com

Literatur

  • André Gelpke, Sex-Theater, Leipzig 2015
  • André Gelpke, Amok, Leipzig / Zürich 2014