David Claerbout

Bildmodul

Ruurlo, Bocurloscheweg 1910, 1997
Video-Projektion, 10 min loop
Courtesy Esther Schipper Galerie, Berlin

© VG Bild-Kunst, Bonn 2018; Foto: Herling/Herling/Werner, Sprengel Museum Hannover

Zur Arbeit

Das Moment der Bewegung scheint in Claerbouts Video zunächst ausgeblendet. Schließlich handelt es sich auch um eine abgefilmte Postkarte aus dem Jahr 1910, die eine niederländische Landschaft zeigt. Im linken Vordergrund sind Menschen zu sehen – doch auch sie sind still gestellt, schließlich handelt es sich ja auch um eine Fotografie. Handelt es sich um schlichte Appropriation art? Warum hat Claerbout aber dann das Medium Video eingesetzt?

Doch mit zunehmender Betrachtungsdauer klärt sich das Ganze und wird zugleich rätselhaft, denn man kann Bewegung wahrnehmen: Die Blätter der großen Eiche bewegen sich langsam im Wind und widersprechen damit dem fotografischen Charakter des Bildes. Obwohl doch die Fotografie die Wirklichkeit angeblich so zeigen soll, wie sie gewesen ist, erscheint eben diese durch das Motiv (Kleidung der Personen), das Schwarzweiß der Darstellung und letztlich auch die akustische Stille betont vergangene Wirklichkeit hier reanimiert. Die Authentizität des Bildes wird so fragwürdig, Erinnerung, Gegenwart, Glaube und Vorstellung gehen permanent ineinander über. Die Zeit ist, wie der Titel der Arbeit betont, vergangen und doch erlebt der Betrachter sie in einem langsamen Loop, der die Vorstellung einer linearen Chronologie außer Kraft setzt.

CV

David Claerbout (*1969 in Kortrijk, Belgien, lebt in Antwerpen) ist einer avanciertesten Künstler im Grenzbereich von Fotografie und Film. Die Dehnung und das Fließen von Zeit stehen seit 1996 im Mittelpunkt des Ansatzes des belgischen Künstlers.

Anders formuliert ist Zeit das Thema von Claerbout. Seine Videos dehnen Erzählung und Geschehen, um ein intensiviertes Empfinden von Dauer zu erwirken. Die für seine Bildsprache typische Bewegungsarmut der Bilder, ihre Verlangsamung und das Verschmelzen der Zeitebenen führen zu einem Bilderlebnis von hoher Dichte und Kontemplation. Seine Bilder sind nicht vollkommen still gestellt, sonst wären sie keine Videos, sie besitzen aber auch nicht die normale Geschwindigkeit von Filmen oder auch nur der lebensweltlichen Erfahrung dessen, was sie zeigen: sie entschleunigen Realität. Insofern nähern sie sich der klassischen Bildform des Stilllebens an. Mit Hilfe einer digitalen Vervielfältigung mehrerer Fotografien gelangt Claerbout zu einer Überlagerung von Augenblick und Zuständlichkeit, was zu einer starken emotionalen Aufladung der jeweiligen Szene führt.

David Claerbout lebt und arbeitet in Antwerpen, Belgien sowie teilweise auch in Berlin. Seine Arbeiten präsentierte er auf zahlreichen Einzelausstellungen, u.a. in der Pinakothek der Moderne in München, dem Centre Georges Pompidou in Paris, den Musées Royaux des Beaux-Art in Brüssel, dem Kunsthaus Bregenz, dem Van Abbemuseum in Eindhoven, dem Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, dem Städel Museum in Frankfurt und dem Kunstverein Hannover.

Homepage: https://davidclaerbout.com

Literatur

  • Andreas Fiedler (Hrsg.), Olympia (The Real-Time Disintegration into Ruins of the Berlin Olympic Stadium over the Course of a Thousand Years), Berlin 2017
  • David Claerbout, Drawings and Studies, (Ausst.-Kat.) Sean Kelly Gallery, New York 2015
  • Shadow pieces (David Claerbout), hrsg. v. Thierry Davila, (Ausst.-Kat.) Mamco, Musée d’art moderne et contemporain, Genf 2015
  • David Claerbout – Uncertain eye, hrsg. v. Inka Graeve Ingelmann, (Ausst.-Kat.) Pinakothek der Moderne, München 2010