Jan Dibbets
Spoleto Duomo, 1980-82
Schwarzweißfotografien, Wasserfarben, Acryl, Bleistift auf Papier auf beschichtete Spanplatte aufgezogen
185 x 222,5 cm
Kunstmuseum Wolfsburg, erworben mit Mitteln der Pon Holdings B.V., Nijkerk, NL
© Jan Dibbets und VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Zur Arbeit
Das Bild des niederländischen Künstlers zeigt genau das Gegenteil von dem, was man gewöhnlich mit Architekturfotografie verbindet. In der Preisgabe des rechteckigen Formates ermöglicht es eine neue Raumerfahrung des Doms von Spoleto, den es bildlich quasi neu konstruiert.
Dabei ist zunächst nicht einmal klar, was wir da vor uns haben: Ist es die Decke oder das Gewölbe, was wir sehen und das einen so rasanten Schwung aufnimmt, dass einen Schwindel befällt? Unterstützt wird dieser Eindruck eines nicht geschlossenen Kreises durch die auf den hellblauen Grund gesetzten Bleistiftstriche, die den Schwung des Fotogebildes und die innere Lineatur des Abgebildeten unterstreichen.
Die Dynamik scheint von rechts auszugehen: dort beginnt es mit einer Kreisform, die über die scharfe Seite des Fotos heraustritt, oder anders formuliert: die den Schwung in das Gebilde der Ornamentik des Fußbodens hineinträgt. Dieser wird über einige Stationen nach links weitergetragen und verliert sich dann in den auseinanderstrebenden Formen vor schwarzem Hintergrund auf der rechten Bildseite und lässt sich imaginär fortdenken! Vorne und hinten, eine klare dreidimensionale Raumillusion werden ohnehin schon unterlaufen: Alles verliert sich in der Dynamik der Bewegung, mit der Dibbets das Kirchengebäude bildlich dekonstruiert. Dies ist eine abenteuerliche neue Raumerfahrung mit Mitteln einer dokumentarischen Fotografie, die ganz unklassisch verwendet und somit befreit wird.
CV
Der niederländische Künstler Jan Dibbets (*1941 in Weert, Niederlande, lebt in Amsterdam) ist kein purer Fotograf, arbeitet aber seit seinen künstlerischen Anfängen im Bereich der Concept und Land Art vorzugsweise mit fotografischen Bildern. Seine Arbeiten beschäftigen sich im weiteren Sinne zumeist mit dem Dialog von Kunst, Architektur und Raum oder Natur.
In der Tradition der niederländischen Malerei beschäftigt sich Dibbets mit Fragen der Wahrnehmung, der Sinnestäuschung, der Illusion und dem Verhältnis von zweidimensionaler Bildfläche und dreidimensionalem Raum. In vielen Fällen gelangt Dibbets, der über viele Jahre lang ein einflussreicher Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf war, zu irregulären Formaten. Durch das serielle Arrangement mehrerer Einzelbilder zu einer neuen Gestalt irritieren seine Fotos oft schon allein dadurch, dass sie vom konventionellen Bild-Rechteck abweichen.
Dibbets über das Medium hinausweisendes künstlerisches Interesse hat sich zuletzt auch in der Organisation einer Ausstellung offenbart, die zu den originellsten jüngeren Beiträgen bei der Auseinandersetzung mit neuerer Fotografie zählt und den bezeichnenden Titel „Pandora’s Box“ trägt:
http://www.mam.paris.fr/en/expositions/exhibitions-pandoras-box
Literatur
- Pandora’s box: Jan Dibbets on another photography, (Ausst.-Kat.) Musée d’art moderne de la ville de Paris 2016
- Jan Dibbets – un’altra fotografia, (Ausst.-Kat.) Castello di Rivoli Museo d’Arte Contemporanea Rivoli-Turin 2014
- Erik Verhagen, Jan Dibbets: The photographic work, Leuwen 2014