Lynda Benglis

Bildmodul

Advertisement for „Artforum“ (1974)
Zeitschrift
27 x 52,7 cm (geöffnet)
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn

© VG Bild-Kunst, Bonn 2018; Foto: Herling/Herling/Werner, Sprengel Museum Hannover

Zur Arbeit

Lynda Benglis’ bahnbrechendes Selbstporträt erschien in der Novemberausgabe 1974 des „Artforum International“, eines der wenigen amerikanischen Magazine, das sich damals der zeitgenössischen Kunst widmete. Die Redaktion bat die Künstlerin zunächst um ein Porträt-Foto, um einen Artikel über ihre Arbeit zu illustrieren. Als Benglis jedoch dieses Bild vorschlug, weigerten sie sich es zu veröffentlichen, so dass die Künstlerin beschloss, das Bild als Werbeanzeige zu verwenden. Obwohl die Künstlerin die Werbefläche selbst gekauft hatte, taucht dabei der Name ihrer Galeristin Paula Cooper auf, denn Einzelpersonen durften keine Anzeige schalten.

Die Künstlerin ging mit dieser Werbeparodie in die Geschichte ein und zeigte sich eine Sonnenbrille tragend und mit einem Doppel-Dildo in der Hand. Benglis’ Veröffentlichung löste einen Skandal aus und lebhafte Debatten aus. Einige Leser waren entsetzt, andere begeistert. Die Redaktion von „Artforum“ trat geschlossen zurück und veröffentlichte in der folgenden Ausgabe einen offenen Brief, in dem unter anderem behauptet wurde, dass das Bild wegen seines beleidigenden und respektlosen Charakters gegenüber Frauen inakzeptabel sei. Benglis produzierte später eine Bronze-Edition von fünf Exemplaren von diesem Dildo mit dem Titel „Smile“ – eines für jedes Mitglied der Redaktion, das zurückgetreten war.

Benglis Anzeige enthüllt indirekt die ambivalente Position des Magazins: In seinem redaktionellen Teil wird das Bild abgelehnt, während man totale inhaltliche Freiheiten erhält, sobald man in den kommerziellen Bereich der Werbung wechselt. – Die Künstlerin betrachtet diese Publikation als Kunstwerk. Ihre Entscheidung, die Zensur des Verlages durch eine Anzeige zu umgehen, kann man vor dem Hintergrund einer bei diversen Künstlerinnen bereits mehrfach verwendeten Strategie sehen. Anzeigen boten die Möglichkeit, mit ihrem öffentlichen Bildern zu spielen und die Erwartungen an die Rolle der Frau in der Kunstwelt zu hinterfragen. Generell wurden Strategien der Selbstinszenierung (einschließlich Verkleidungen und Parodien) zu dieser Zeit in New York häufiger verwendet, vor allem von Künstlerinnen, welche die Ökonomie des Begehrens und ihre Position in der Kunstwelt problematisierten. Benglis hatte Selbstporträts bereits für Einladungskarten verwendet und generell mit inszenierten fotografischen Selbstdarstellungen experimentiert – auch in Verbindung mit Freunden oder engeren Bekannten wie z.B. Robert Morris. Ein Porträt im ähnlichen Stil hatte dieser wenige Monate zuvor für ein Plakat seiner Ausstellung in der New Yorker Galerie Castelli-Sonnabend verwendet, was damals jedoch keine bemerkenswerte Resonanz erzielte.

Benglis Doppelseite bezieht sich auf die Tradition der ausklappbaren Pin-up-Darstellungen in Männermagazinen. Auf dem Bild trägt die Künstlerin die gleiche Sonnenbrille wie Martha Mitchell, welche der Presse Korruptionsgeschichten zum „Watergate“-Skandals mitteilte. Das Bild thematisiert das damalige problematische Verhältnis zwischen Wahrheit und der Medienindustrie, die den „Watergate“-Skandal eine Weile lang unterdrückte. Benglis stellt darüber hinaus eine Verbindung zwischen Selbstenthüllung und der potentiell unangenehmen Qualität Wahrheit her. Sie spielt mit Vorstellungen von Transparenz und Opazität und erzeugt durch ihre Selbstinszenierung ein Gegen-Klischee der weiblichen Künstlerin her.

Fanny Gonella

CV

Lynda Benglis (*1941 in Lake Charles, Louisiana, lebt in New York) ist eine amerikanische Künstlerin, die als Malerin, Plastikerin und Videokünstlerin arbeitet, international aber besonders in den siebziger Jahren für ihre feministischen Aktivitäten bekannt wurde.

In ihrem zwischen Malerei und Plastik mitunter changierenden Werk nutzte Benglis in ihrem frühen Werk Naturmaterialien wie Wachs und auch Kunststoffmaterialien oder Metalle, die allesamt eine befremdende körperliche Wirkung erzeugen. Im Sinne ihres generellen Interesses an neuen Medien war sie in den siebziger Jahren auch als Video-Künstlerin tätig und verfolgte hier feministische Fragestellungen. Wirklich fotografisch hat Benglis nicht gearbeitet.

Besonders eingegangen ist sie in die Kunstgeschichte aber vor allem durch ihre Werbeanzeige in der Zeitschrift „Artforum“ im Jahre 1974. Darüber hinaus hat man Benglis Kunst in Europa kaum wahrgenommen. Bezeichnenderweise erhielt sie ihre erste Retrospektive hier erst 2009 im Irish Museum of Modern Art in Dublin, die ferner ins Van Abbemuseum, Eindhoven, das Museum le Consortium, Dijon, France, das New Museum, New York und Museum of Contemporary Art, Los Angeles wanderte.

Literatur

  • Judith Tannenbaum, Lynda Benglis, Philadelphia 2018
  • Susan Richmond, Lynda Benglis: Beyond Process, London / New York 2012
  • Anna C. Chave, Lynda Benglis: Everything Flows, Philadelphia 2013
  • Lynda Benglis, hrsg. v. Franck Gautherot, (Ausst.-Kat.) Van Abbemuseum, Eindhoven u.a.O. 2009