John Baldessari
Hands with Money, Hands with Rope and Observer, 1995
Collage, SW und Farbfotos, Acryl, Bleistift auf Papier
153 × 113 cm
Privatsammlung, Berlin
© John Baldessari Estate
Zur Arbeit
Die Doppelung des Titels dieser multimedialen Arbeit offenbart sich auch in der Zweiteilung des Bildes: Oben ein großer weißer Bildgrund mit nur wenigen Flächen, die farbige fotografische Ausschnitte und gezeichnete Partien zeigen, während die untere Bildhälfte ein Schwarzweiß-Foto von vier Personen zeigt, von denen in drei Fällen ein weißer Kreis das Gesicht verdeckt. Auf den zweiten Blick wird klar, dass der oberen Darstellung das gleiche Foto zugrunde liegt. Dort wird von zwei Personen (am rechten und linken oberen Bildrand) auf zwei isoliert gezeigte Handlungen geschaut: das Zählen des Geldes und das Spielen (?) mit einem Seil. Das untere Foto zeigt mehr – auch wenn es nicht viel mehr enthüllt oder erklärt. Es kommt dort offensichtlich nicht auf die jeweiligen Individuen an, sondern auf die im Titel betonte Tätigkeit der Hände, die Geld bzw. Seile halten. Die vierte, nicht anonymisierte Figur am rechten Bildrand, die in beiden Hälften vollständig gezeigt wird – einmal farbig, einmal schwarzweiß –, ist durch den Titel als Beobachter der Szene definiert. Funktional nimmt er die Position einer Projektionsfigur der Bild-Betrachter*innen ein.
Unklar bleibt allerdings die Frage, worum es sich bei der Szene handelt: ein einfacher Verkauf von Kordeln oder gar eine nebulöse Aktion zwischen Kleinkriminellen? Die Rätselhaftigkeit wird durch die ästhetische Anonymisierung der Gesichter ebenso unterstrichen wie durch die ausschnitthafte Betonung des Geldzählens und das Halten der Seile. Die beinahe halbe Bildfläche ausmachende Leere der Darstellung ist durch die Form der ausschnitthaften Isolierung einerseits und das Verdecken andererseits zur Projektionsfläche der Imagination der Betrachtenden geworden. Eine eindeutige „Lösung“ des Rätsels ist nicht in Sicht.
CV
John Baldessari (*1931 in National City, Kalifornien – † 2020 in Venice, Kalifornien) war einer der zentralen Vertreter der amerikanischen Conceptual Art, arbeitete als Maler, Fotograf und Videokünstler und war auch als Lehrer an der CalArts Kunsthochschule in Los Angeles äußerst erfolgreich. Seine eigentümlich subtil humorvolle Verbindung des Konzeptuellen und des Sinnlichen unterscheiden ihn ganz wesentlich von den klassischen, strengen Vertretern der Minimal und Conceptual Art.
Baldessari kann als ein Ahnherr der Appropriation Art gelten, da er sich bei seinen Bildfindungen aus einem großen, selbst angelegten Archiv von Film-Stills bedient, die für ihn oft Ausgangspunkt seiner künstlerischen Überarbeitungen sind. Gleiches gilt für die Kunstgeschichte, der er sich in zahlreichen Reihen angenommen hat. In seinen Bildern dekonstruiert er die Oberfläche der Gesellschaft und stellt Sehgewohnheiten mit einem ironischen Lächeln in Frage. Sehr anschaulich wird dies auch in der von Tom Waits kongenial erzählten Einführung in das Leben und Werk des Künstlers, die 2012 als Video erschien: https://www.youtube.com/watch?v=eU7V4GyEuXA
Aufgrund seiner multimedialen Arbeit, in der sich verschiedene Traditionen kreuzen und die sicherlich als eine zeitgemäße Form der Collage verstanden werden kann, ist Baldessari kein klassischer Vertreter der Fotografie, jedoch ein unverzichtbarer Bestandteil der Geschichte der neueren künstlerischen Fotografie. Seine Werke waren nicht nur auf der documenta 5 (1972) und 7 (1982), sondern auch in zahlreichen großen Einzelausstellungen zu sehen, so etwa im MUMOK, Wien, dem Kunsthaus Graz (2005), der Tate Gallery, London (2009), dem Los Angeles County Museum of Art, dem Metropolitan Museum of Art, New York (beide 2010) oder dem Städel Museum, Frankfurt (2015).
Homepage:www.baldessari.org
Literatur
- Patrick Pardo u.a. (Hrsg.), John Baldessari Catalogue Raisonne, Bd. I – V, Yale 2012 ff.
- Sharon Coplan Hurowitz, The Prints of John Baldessari: A Catalogue Raisonné, Manchester 1971 – 2007
- Jessica Morgan (Hrsg.) John Baldessari: Pure Beauty, London 2009